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Deutsch & Arabisch? – Zweisprachig / bilingual aufwachsen

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„Mama, warum reden die Kinder nicht mit mir?“ Enttäuscht vom ersten Kindergartenbesuch, sehe ich mich noch als kleines Mädchen.

Ja ich konnte bis zu meinem Dritten Lebensjahr NUR arabisch sprechen. Wo viele jetzt mit dem Kopf schütteln, mir etwas von Integration erzählen wollen, oder bemitleidend auf das kleine damalige Mädchen herabsehen würden, empfinde ich es, als das beste was mir hätte passieren können.Denn nur nach wenigen Monaten redete ich kaum ein Wort mehr in meiner Muttersprache. Schließlich verbrachte ich viel Zeit im Kreise der deutschen Sprache. Mit meinem Bruder redete ich deutsch, da es uns einfach mit der Zeit leichter fiel. Und die paar Wörter, die man dann mit seinen Eltern redet, sind jetzt auch nicht so sprachfördernd wie das meines Umfeldes. Dennoch lernte ich von Beginn an, zwischen zwei Systemen hin und her zu switchen und entwickeln früh ein ausgeprägtes Sprachbewusstsein.

Natürlich verschlechtere sich mit der Zeit mein arabisch. Klar verstand ich alles, aber das arabische Wort, dass mir gerade nicht einfiel, wurde in dem Satz ganz einfach mit einem deutschen ersetzt. Schließlich verstehen und sprechen meine Eltern ja auch beide Sprachen. Also warum die Mühe machen und danach suchen?

Mehrmals in der Woche legte meine Mutter Lernbücher auf den Boden und lehrte uns das Arabische ABC, das Lesen und Schreiben. Bis wir schließlich von einer arabischen Schule mitbekamen, die über eine Stunde mit dem Auto entfernt war. Ihr müsst wissen, wir lebten in einem kleinen Dorf in Baden-Württemberg mit weniger als 4.000 Einwohner. Um uns herum waren wir die einzigen Araber weit und breit.

So hetzten wir jeden Freitag, direkt nach der normalen deutschen Schule nach Hause, um direkt ins Auto zu steigen und zur nächsten Schule zu fahren. Wir hassten es. Denn das hieße für uns: doppelt Hausaufgaben, doppelte Tests und doppeltes lernen.

„Irgendwann werdet ihr mir dafür danken.“ Diesen Spruch meiner Mutter sitzt sehr tief in meiner Erinnerung. Damals verstand ich es nicht, doch heute weiß ich: Sie hatte recht. Ich danke ihr vom ganzen Herzen. Denn genau, das was sie uns immer predigte ist es. Jede Sprache, die man ohne viel Mühe in so jungen Jahren erlernt ist es: Ein Geschenk.

Demnach war es für mich nicht schwer zu entscheiden, wie ich es mir für meine Kinder wünschen würde: Genauso. Denn ich genieße es, mich auf Deutsch und zugleich auf Arabisch in Schrift und Wort verständigen zu können. Wieso sollte ich ihnen dieses Geschenk also verwehren.

Nach der Geburt war es dennoch komisch. Es war komisch mit einem kleinen Wesen, das noch nichts verstand, auf Arabisch zu sprechen. Denn mir fällt die deutsche Sprache auch leichter und es liegt mir einfacher auf der Zunge. Ich denke und träume sogar auf Deutsch, weil mich diese Sprache umgibt.

Aber ich wusste von Anfang an: Wenn ich es mir nicht direkt angewöhne, wird es mir später schwerer fallen es konsequent anzuwenden. Außerdem merken Babys früh, dass Sprachen unterschiedlich klingen, dass dieselben Dinge unterschiedlich heißen, dass auch Gestik und Mimik verschieden sind. Ein weiterer Grund war, dass meine Kinder von beiden Kulturen geprägt werden sollten. Also war es mir von Anfang an wichtig, ihn mit der arabischen Sprache zu erziehen. Wenn nicht von mir von wem sollen sie es schließlich dann lernen?

Also beschlossen wir: Arabisch wird unsere Familiensprache. Und genau das ist auch wichtig: Sich als Eltern zu Beginn für eine Regel entscheiden und diese auch langfristig befolgen.

Es gibt 2 Modelle für die Bilinguale Erziehung:

1 zu 1 Regel: Am meisten wird empfohlen, dass jede Person mit den Kindern immer in der gleichen Sprache spricht und nicht zwischen Sprachen wechselt. Auf diese Weise lernen die Kinder die Sprache mit den Personen zu unterscheiden. Das ist z.B. ratsam wenn beide Elternteile selber mehrsprachig sind.

Familien-Soziale Umfeld-Regel: Man wählt eine Sprache, wie in unserem Fall arabisch, die zu Hause in den eigenen vier Wänden gesprochen wird und außerhalb des Hauses eine andere.

Konsequenz mit Leichtigkeit verbinden

Ich habe oft Nachrichten von besorgten Müttern erhalten. Sie machten sich sogar Vorwürfe, da ihr Kind sich nicht sofort in der Kita verständigen konnte. Für mich persönlich Unverständlich. Denn die Hauptsprache, ja die Umgebungssprache ist doch Deutsch. Es wird auf Spielplätzen, in den Kindergärten und Schulen deutsch gelehrt und gesprochen. Die holperigen Anfänge werden doch nach weniger als paar Wochen behoben und die Zukunft sieht doch nicht wie zu Beginn aus.

Besonders schwierig ist es für mich, da die Sprache des Landes eine andere ist, dieses konsequent durchzuziehen. Natürlich spreche ich im Alltag auch Deutsch. Sei es an der Supermarkt­kasse oder beim Gespräch mit der Erzieherin oder mit Freunden. Da Younes z.B. Auch einen großen deutschen Wortschatz besitzt, erwische ich mich selbst dabei, mit ihm hin und wieder deutsch zu sprechen. Es ist wichtig sich hierbei immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, welche Rolle die jeweilige Sprache das Leben meines Kindes spielen soll. Sonst werden die Ausnahmen im Laufe der Zeit auch in der Familie zunehmen. Wenn das aber dennoch nicht so konsequent klappt, bleibe ich entspannt. Schließlich bin ich ihr zweisprachiges Vorbild!

Verankerung beider Sprachen

Die deutsche Sprache war dennoch hier auch stark präsent. Da wie ihr wisst, meine Schwiegermutter nur deutsch spricht. Daher war es anfangs etwas schwer für Younes sich mit seiner Oma zu verständigen. Die Hauptwörter hatte sie ziemlich früh auf Arabisch drauf. Und auch er kam jedes Mal nach einem Oma-Enkel Tag mit neuen deutschen Wörtern nach Hause. Dagegen spricht meine Familie hauptsächlich Arabisch mit ihm. Er lernte recht schnell, wo er welche Sprache anwenden kann.

Erst letztens hörte ich das erste Mal bei einem Besuch bei meiner Schwiegermutter das Wort „Milch“ über seine Lippen kullern, wobei er Zuhause nur das Wort „7alib“ anwendete. Ich sehe einen frühen Kontakt zu anderssprachigen Personen als etwas Bereicherndes für die Sprachentwicklung eines Kindes, unter der Voraussetzung, dass das Kind nicht unter Druck gesetzt wird. Je mehr Menschen es gibt, mit denen die Kinder in einer Sprache reden können, desto wahrscheinlicher ist der Lernerfolg.

Vorurteile

Oft wurde und werde ich mit Sprüchen und Blicken konfrontiert, die ganz klar von Unwissenheit sprechen.

„Vielleicht verwirrt die Mischung von Sprachen deine Kinder.“

„Wir leben hier in Deutschland!“

„Ich habe mal gehört, dass wenn du deine Kinder zweisprachig erziehst. Sie von all dem überfordert werden und erst viel später zu sprechen anfangen.“

„Dein Sohn hat doch schon jetzt Probleme sich zu verständigen und du machst es ihm nur schwerer, wenn du ihm zwei Sprachen aufzwingst.“

Lasst euch von solchen Worten nicht verunsicherten. Denn hier nochmal: Ihr seit der Lebende zweisprachige Beweis!

Das späte Sprechen

Ja tatsächlich ist da was dran, dass im Vergleich zu einsprachigen Kindern sie erst später mit dem Sprechen beginnen.

Younes gehörte auch nie zu den Spitzenreiter der Kinder, die früh mit dem Sprechen anfingen. Doch ich machte mir nie Gedanken darum und wollte mich nicht mit anderen Messen. Schließlich wird er es ja früher oder später können. Und das dann auch direkt zweisprachig.

Ihr müsst es euch so vorstellen. Ein Kind, das nur eine Sprache, z.B. deutsch mitbekommt, dessen Input an deutschen Wörtern ist logischerweise natürlich größer, als ein Kind das zwei Sprachen mitbekommt. Hier ist der Input in jeder Sprache nur halb so groß. Es dauert also etwas länger, bis dieses zweite Kind einen genauso großen deutschen Wortschatz besitzt wie das erste. Das wiederum bedeutet, dass das zweisprachige Kind generell einen genauso großen Wortschatz besitzt, das nur auf zwei Sprachen aufgeteilt ist.

Sprachmischung

„Mama ekol Essen“ Ja solche Sätze kommen hier nicht selten vor. Sprachmischung ist anfangs normal. So kommt es in den ersten Lebensjahren oft vor, das Worte der Sprachen gemischt werden. Fällt dem Kind spontan ein Wort nicht ein, greift es automatisch auf die andere Sprache zurück. Genauso war es bei mir letztendlich auch. Bis Kinder anfangen, sich in einer bewussten Sprache zu verständigen, dauert es. So können sie Sprachen frühstens mit dreieinhalb bis vier Jahren trennen, aber bewusst einsetzen können sie es erst mit vier oder fünf Jahren.

Mit meinen Erfahrungsberichten und Fakten möchte ich euch nur Nahe legen, dass Kinder mit mehr sprachlichem Input zurechtkommen, als wir ihnen zutrauen und dass es sie nicht verwirrt werden zwei Sprachen oder mehr auf einmal zu lernen. Weder ist ihre Entwicklung verzögert, noch kennen sie weniger Wörter als einsprachige Kinder. Was das Richtige ist, muss natürlich jeder für sich und seine Familie entscheiden.

Letztendlich hoffe ich, dass ich euch mit diesem Blogeintrag wenigstens ein paar unbegründete Ängste bezüglich zweisprachiger Erziehung nehmen und einige bestärken könnte auf ihr Herz und Bauchgefühl zu hören.

Alles Liebe

eure Ajat

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