about ajat

Stillen um jeden Preis // unsere Stillgeschichte Teil 1

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Immer wieder und wieder versuchten wir es. Immer wieder und wieder klappte es nicht. Immer wieder und wieder weinten wir zusammen. Immer wieder und wieder….
Und keiner der mir glaubte.
Keiner der mir half.

„Das wird schon“,
„Das braucht Zeit“,
„Der Anfang ist immer schwer“

sagten sie.

„Ja vielleicht“ dachte ich mir, aber mein Sohn hat Hunger. Seit Tagen hatte er kaum was zu sich genommen und ich wusste nicht mehr wohin mit meiner Milch und hatte dadurch starke Schmerzen.

Stunden verbrachten die Hebammen im Krankenhaus bei mir am Bett. Gaben mir Stillhütchen und versuchten andere Tricks um ihn zu locken. Vergebens. Er konnte sich nicht andocken. Verstand es einfach nicht.

Der erste Tag zuhause. Ein so schrecklicher Tag. Keiner verstand, es lag nicht an der Übung. Es lag nicht am Willen. Es lag nicht an das Zusammenspiel. Er konnte die Brust einfach nicht greifen.

„Es liegt an deiner Haltung“,
„du musst dich entspannen“
sagten sie.

Doch egal was ich tat, wir kamen nicht weiter. Sechs Stunden am Stück, saß ich mit ihm auf diesem einen Platz. Sechs Stunden am Stück versuchte ich seinen Hunger zu stillen. Sechs Stunden schrie er die Brust an. Nach diesen qualvollen sechs Stunden schlief er weitere sechs Stunden durch: Vor Erschöpfung.
Danach folgten wieder weitere viele Stunden des Verzweifelns.

„Bei mir war es genauso, und jetzt ist es das einfachste der Welt“ sagten sie.

Ich glaube daran, dass es einige gibt, die ihre Anlaufschwierigkeiten haben. Ich glaube daran, dass es für viele nicht leicht war. „Aber mein Sohn, du wurdest von Tag zu Tag dünner. Mein Sohn, ich machte mir Sorgen.“ Und dennoch wollte ich nicht…Versagen?

„Machen sie weiter“ sagte meine Hebamme.
„Aber, aber er nimmt sie nicht! Er hat seit Tagen nichts gegessen!“
„Das wird schon“

Jedes dieser Worte war ein Schlag in meinen Magen. „Bitte erlöse uns doch! Bitte! So kann es nicht weiter gehen!“ Keiner verstand.

Stillberichte wurden zu meinem ständigen Begleiter. Vielleicht gibt es jemanden da draußen der das selbe durchmachte wie wir? Vielleicht hilft uns nur ein einziges Wort weiter. Aber nichts.  Wir standen alleine da. Du mein schreiendes Baby und ich die Mutter die es nicht hinbekam dir das wohl selbstverständlichste geben zu können.

Einige Tage später: Eines Nachts, weinten wir wieder beide stundenlang. Ich lief müde und in meinem Emotionschaos zur Küche, machte ihm eine Flasche, lief zum Bettchen und erschrack: Wie ein Raubtier der über seine Beute herfiel, so fiel dieses kleine Wesen über die Flasche her und schlief dadurch zufrieden und seelenruhig ein.

„Oh mein armer Younes, wie konnte ich dir das antun. Oh mein armes Kind, du hungerst so und ich verwehre dir das Essen, obwohl wir heutzutage doch dankbar dafür sein müssen, so etwas in Erwägung ziehen zu können.“

Gleichzeitig machte ich mir Vorwürfe. Ich fühlte mich wie eine Versagerin.

„Wieso? Wir wollten es doch so sehr! Ich wollte es so sehr! Wir machen weiter! Diese Flasche war eine Ausnahme! Ich schaffe das! Wir schaffen das Younes! Ich werde dich stillen, mein Sohn!“

Ich war wie besessen von dem Gedanken. Aber frag ich mich heute wieso? Wieso tat ich mir und meinem Sohn diesem Druck und Psychoterror an, wenn es uns beiden doch nichts brachte? Wieso fand ich mich nach Tagen des hungerns nicht damit ab und gab meinem Sohn was er brauchte: Nahrung. Ist es wohl besser sein Baby hungern zu lassen, als sich mit dem Gedanken anzufreunden ein Flaschenkind zu haben?

Anscheinend war ich Opfer dieser Gesellschaft! Opfer dessen was die Medien und die sozialen Netzwerke einem vermitteln: Wenn du nicht stillst, bist du eine schlechte Mutter!

14 Tage nach der Entbindung. Ich schickte stolz Bilder von meinem Sohn an Familie und Freunde

„Was ist los mit ihm?“

„Er sieht so krank aus“

Wenn ich mir jetzt diese Bilder anschaue, schießen Tränen in meine Augen. Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen? Wieso hörte ich nicht darauf, was mein Sohn versuchte mir zu vermitteln. „Mama ich habe Hunger! Mama ich kann die Brust nicht greifen! Mama es liegt nicht an dir!“ Dieser Blick sprach Bände. Und ich war blind! So blind von dem Gedanken nicht zu versagen!

Die Hebamme griff Younes an der nackten Haut und lag ihn auf die Waage. Ihre Augen weiteten sich. Sie war entsetzt.

„Machen sie ihm sofort eine Flasche! Stellen sie sich den Wecker! Jede zwei Stunden bekommt er eine! Wenn er schläft wecken sie ihn! In der Nacht, wecken sie ihn! Wenn sein Gewicht nicht in den nächsten Stunden steigt, schicken wir ihn ins Krankenhaus und er wird mit einer Sonde ernährt!“

Wie in Trance nickte ich, wartete bis sie die Tür hinter sich schloss und sackte zusammen. Ich weinte. Weinte während ich ihm die Flasche gab. Weinte während ich ihm beim schlafen zusah. Weinte am Telefon als ich es meinem Mann erzählte. Ich weinte, stundenlang. „Wie konnte ich das meinem Kind antun?“

„Oh, du stillst nicht?“

Immer wieder schämte ich mich, meinem Sohn eine Flasche vor anderen zu geben. Ich fühlte mich abgestempelt: Ajat die schlechte Mutter.

„Ich hab ein Jahr gestillt“
„Es ist das beste was du deinem Kind geben kannst“
„Die Bindung zwischen euch
ist magisch“

Danke Leute, Danke für jeden einzelnen Stich in mein Herz. Danke dafür, mir immer wieder zu zeigen, was ich nicht haben kann.

„Ich habe gehört, du hast die Stillstellung falsch ausgeübt?“
„Ich hab gehört, deine Milch war nicht reichhaltig genug?“
„Ich hab gehört du hast abgestillt?“

Ich verspürte jedes Mal aufs neue dem Drang mich zu rechtfertigen. Doch keiner Verstand.

„Hättest du noch etwas weiter gemacht, dann wäre was geworden. Stillen braucht Geduld“

Welchen Teil meiner Geschichte habt ihr nicht verstanden?

Warum wird man andauernd mit Vorurteilen, dem Halbwissen und der gesellschaftlichen Verachtung begegnet, wenn es um das Thema Stillen geht? Warum erntet man Abschätzige Blicke und herablassende Kommentare ohne die Geschichte der Frauen zu kennen?

„Eine Frau, die ihr Kind nicht stillt kann keine gute Mutter sein“
„Man wird niemals die gleiche Verbindung zu seinem Kind aufbauen können, wie eine Mutter die ihr Kind stillt“
„Es ist das beste was du deinem Kind geben kannst“

Klar ist das stillen etwas wundervolles. Und klar kommt einiges nicht da ran. Aber was ist mit dem Teil der Frauen die nicht stillen können oder es aus anderen Gründen nicht möchten? Sind es tatsächlich schlechtere Mütter?

Die Zeiten dass die Muttermilchersatzprodukte nur satt machen, aber es nicht die notwendigen Vitamine, Mineralstoffe und Bausteine liefern kann, sind vorbei!

Was die Bindung angeht, kommt es durch den Kontakt und nicht durch Brust oder Flasche! So kann ich sagen, dass die Bindung zu Malik, den ich sechs Monate gestillt habe, nicht enger ist als die zu Younes. Aber dazu im zweiten Teil mehr.

„Mein Körper gehört mir!“Das lernen zwar bereits Kleinkinder im Kindergarten, doch für erwachsene Frauen scheint dieser Grundsatz in Deutschland nicht mehr zu gelten. Zumindest nicht, sobald ein Neugeborenes ins Spiel kommt.

Nicht jede Frau kann stillen. Nicht jedes Kind kann es.

Ich habe mich damals verrückt gemacht. Habe meinen Sohn hungern lassen und mich selbst unter Druck gesetzt. Heute denk ich ganz anders: Wenn es klappt möchte ich es meinem Kind nicht verwehren. Aber wenn es nicht klappen sollte oder es mir oder dem Kind dabei schlecht geht, so gebe ich ihm anderweitig das was es braucht ohne ein schlechtes Gewissen zu haben und ein Opfer der Stillzwängen zu werden. Schließlich sind wir alle darum bemüht, dass es unseren Kindern und uns gut geht. Keiner sollte sich unter Druck gesetzt fühlen, dass zu tun, was einem vorgegaukelt wird. Denn schließlich wollen wir alle nur das Beste für unser Kind, ob es gestillt wird oder nicht. Wir sind alle gute Mütter und genau diese Message sollte verbreitet werden.

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